Von Veröffentlicht am Montag, 4. November 2019

„Kumm rei, dou schnell essen, du mißt heit die Keji hejitn“. Das ist Frankenwalddialekt und bedeutet: Ich komme von der Schule heim, die Mutter hat schon das Essen bereitgestellt, dann soll ich die Kühe auf die Wiese bringen und hüten. Der Hütejunge erzählt.

Das war im Herbst 1946 und ich war gerade mal 12. Ein junger Landwirt und seine Schwestern unterhielten mit ihrer Mutter Haus, Stall und Hof. Sie hatten im Sommer das Gras gemäht, die Sonne machte Heu daraus, zwei Kühe zogen den hochbeladenen Heuwagen in die Scheune. Andere Zugtiere gab es nicht. Dafür durften die Kühe im Herbst das nachgewachsene Gras abweiden. Und ich wurde Hütejunge.

Als ich komme, werden die Kühe gerade aus dem Stall geführt. Eine der Frauen geht bis zur Wiese mit, dann bleibe ich allein. Die fünf Kühe beginnen sofort zu grasen. Mich aber lockt der kleine Bachlauf in der Nähe. Ich baue mit Steinen, Ästen und Rasen einen kleinen Damm und beobachte interessiert, wie die Kraft des angestauten Wassers den Damm durchbricht.

Eine Kuh kommt in meine Nähe. Man hat mich belehrt: Wenn sie frisst, ruhig stehen bleiben. Die Kuh – Flora hieß sie – bleibt nahe bei mir. Ich tätschele ihren Hals. Die Wärme des Tieres, ihr Geruch, der massige Körper – mich berührt das stark. Fühle mich als Teil der kleinen Herde, bin auch ein bisschen stolz als Hütejunge. Doch das währt nicht lange.

Hat sich doch die jüngere Kuh heimlich in das nebenan liegende Rangesfeld geschlichen und macht sich über die saftigen Rübenblätter her. Aber das Feld gehört einem anderen Landwirt! Jetzt aber! Ich gehe auf die Kuh zu, schreie, schwinge meinen Stock. Doch das Tier weicht nur zögernd, starrt mich an. Ich starre tapfer drohend zurück. Inzwischen aber hat eine zweite Kuh die Rüben entdeckt und vorbei ist‘s mit den sanften Rindviechern. Jage ich eine Kuh vom Feld, bleibt sie stehen. Drehe ich mich nach den andern um, ziehen die auch aufs Feld. Sie wollen kein Gras mehr, sie wollen Rübenblätter! Zum Nachtisch sozusagen.

Wie lange das hin und her ging, weiß ich nicht mehr. Nur, dass ich zunehmend wütend wurde, mich aber auch ängstigte. Endlich kommt jemand vom Bauernhof, ruft die Kühe mit Namen – und diese heben den Kopf, ziehen los zum heimatlichen Stall! Ich gehe heim, ärgere mich.

Das milde Wetter bleibt noch ein paar Tage und ich werde wieder gebraucht. Die Kühe kommen aber jetzt auf eine andere Wiese. Den Bach dort kann ich nicht aufstauen, aber Forellen kann ich beobachten. Nach dem ersten Nachtfrost bleiben die Tiere im Stall.

Im folgenden Jahr wurde ich noch einmal Hütejunge. Dann kamen aber schon die elektrischen Weidezäune. Und da erlebte ich etwas anderes, etwas Seltsames. Aber das ist eine andere Geschichte.