Mein Name ist Ingeborg Semmelmann. Ich arbeite in der Birkenbücherei, in der Birken und bei der Friedenskirche. Und wir sind eine wunderschöne kleine Bücherei mit kostenloser Ausleihe und jeder ist willkommen. Ich lese die Geschichte „Gibt es ein Christkind?“ Die 8-jährige Virginia O’Hanlon aus New York wollte es ganz genau wissen. Darum schrieb sie an die Tageszeitung Sun einem Brief: Ich bin acht Jahre alt. Einige von meinen Freunden sagen, es gibt kein Christkind. Papa sagt, was in der Sun steht, ist immer wahr. Bitte sagen Sie mir: Gibt es ein Christkind? Virginia O’Hanlon. Die Sache war dem Chefredakteur Francis P. Church so wichtig, dass er selbst antwortete – auf der Titelseite der Sun: Virginia, deine kleinen Freunde haben nicht recht. Sie glauben nur, was sie sehen. Sie glauben, dass es nicht geben kann, was sie mit ihrem kleinen Geist nicht erfassen können. Aller Menschen Geist ist klein, ob er nun einem Erwachsenen oder einem Kind gehört. Im Weltall verliert es sich wie ein winziges Insekt. Solcher Ameisen-Verstand reicht nicht aus, die ganze Wahrheit zu erfassen und zu begreifen. Ja, Virginia, es gibt ein Christkind. Es gibt es so gewiss wie Liebe und Großherzigkeit und Treue. Weil es all das gibt, kann unser Leben schön und heiter sein. Wie dunkel wäre die Welt, wenn es kein Christkind gäbe! Es gäbe dann auch keine Virginia, keinen Glauben, keine Poesie, gar nichts, was das Leben erst erträglich machte. Ein flacher Rest an Sichtbarem, Schönen bliebe übrig. Aber das Licht der Kindheit, das die Welt ausstrahlt, müsste verlöschen. Es gibt ein Christkind. Sonst könntest du auch den Märchen nicht glauben. Gewiß, du könntest deinen Papa bitten, er solle am Heiligen Abend Leute ausschicken, das Christkind zu fangen, und keiner von ihnen bekäme das Christkind zu Gesicht. Was würde das beweisen? Kein Mensch sieht es einfach so. Das beweist gar nichts. Die wichtigsten Dinge bleiben meist unsichtbar. Die Elfen zum Beispiel, wenn sie auf Mondwiesen tanzen. Trotzdem gibt es sie. All die Wunder zu denken, geschweige denn, sie zu sehen, das vermag nicht der Klügste auf der Welt. Was du auch siehst, du siehst nie alles. Du kannst ein Kaleidoskop aufbrechen und nach den schönen Farbfiguren suchen. Du wirst einige bunte Scherben finden, nichts weiter. Warum? Weil es einen Schleier gibt, den nicht einmal alle Gewalt auf der Welt zerreißen kann. Nur Glaube und Poesie und Liebe können ihn lüften. Dann wird die Schönheit und Herrlichkeit dahinter auf einmal zu erkennen sein. Ist das denn auch wahr? kannst du fragen. Virginia, nichts auf der ganzen Welt ist wahrer und nichts beständiger. Das Christkind lebt, und ewig wird es leben. Sogar in zehnmal zehntausend Jahren wird es da sein, um Kinder wie dich und jedes offene Herz mit Freude zu erfüllen. Frohe Weihnacht, Virginia. Dein Francis P. Church. Der Briefwechsel zwischen Virginia O’Hanlon und Francis P. Church stammt aus dem Jahre 1897. Er wurde über ein halbes Jahrhundert bis zur Einstellung des Sun 1950 alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit auf der Titelseite der Zeitung abgedruckt. Und ich wünsche frohe Weihnachten!