Mein Name ist Erna Schmidt. Ich bin in zwei Literaturkreisen tätig. Ich bin im Ruhestand und betreue einen offenen Bücherschrank für Kinder- und Jugendliteratur. Und ich möchte Ihnen heute eine Geschichte vorlesen, die ich selber erlebt habe und auch selber geschrieben habe. Aus meiner Tätigkeit, als ich noch Kindergärtnerin war: Die Tröstung. Philip, sechs Jahre alt, besuchte einen Kindergarten. Er war ein Einzelkind und wurde von seinen Eltern besonders behütet, weil er bei seiner Geburt so zart und schwach und so klein war, dass er in einen Maßkrug gepasst hätte. Er durchlebte alle Kinderkrankheiten ausschließlich in schweren Verläufen. Deshalb war es kein Wunder, dass sich die Eltern ständig um ihn sorgten. Im Kindergarten wurde jedes Jahr im Sommer ein Schlaffest gefeiert. Alle Kinder, die im Herbst in die Schule kamen, durften eine Nacht im Kindergarten schlafen. Selbstverständlich brachte jedes Kind sein Bettzeug, sämtliche Kuscheltiere und was jeder einzelne so zum Schlafen benötigte, mit. Der Tag des Schlaffestes rückte näher und Philipp wurde immer unruhiger. Noch nie hatte er alleine ohne seine Eltern aushäusig geschlafen. Einerseits wollte er das Schlaffest nicht versäumen, andererseits hatte er doch große Bedenken, ob er es schaffen würde. Alle Beruhigungsgespräche von seiten seiner Eltern und seiner Kindergartenfreunde wollten nicht so recht greifen. Bis auf die Zusage von mir: ich versicherte ihm, dass er nur er die Nacht neben mir auf meiner Matratze verbringen dürfte. Der ersehnte Tag war da. Nach verschiedenen Aktionen wie Nachtwandern, Abendessen, Katzenwäsche, Zähneputzen, Gute-Nacht-Geschichte erzählen, Schlaflied singen und Gute Nacht wünschen wurde das Licht gelöscht. Endlich wurde es ruhig und still und ich hoffte, dass alle eingeschlafen waren. Alle außer Philipp. Er wälzte sich auf der Matratze neben mir hin und her. Plötzlich fragte er mich ganz leise: Sag mal, kannst du auch nicht einschlafen? Ja, flüsterte ich und fragte ihn leise: Was machst du denn zu Hause, wenn du nicht einschlafen kannst? Ach, da geh ich zu meiner Mama ins Bett und dann schlaf ich sofort ein. Hm. Ein tiefer Seufzer folgte und Philip wieder im Flüsterton zu mir: Und was machst du, wenn du zu Hause nicht einschlafen kannst? Ich: Da geh ich zu meinem Fritz (das ist mein Ehemann, der den Kindern bekannt war) ins Bett. Hm. Wieder folgte ein tiefer Seufzer. Dann nahm Philip meine Hand, drückte sie ganz fest und flüsterte: Du darfst jetzt Fritz zu mir sagen! Ich war sprachlos. Dann drehte er den Kopf zur Seite und schlief kurz darauf ein. Meine Hand hielt er lange, lange fest und wollte sie nicht loslassen. Die Tröstung, denke ich, war gelungen.