Hallo, ich bin Sylvia Seidel aus der Geseeser Landbäckerei, und ich lese heute „Weihnachten in der Bäckerei“. Schon lange, bevor die meisten in Weihnachtsstimmung geraten, planen und überlegen wir in der Bäckerei, was wir wohl an Plätzchen, Stollen und Kuchen backen wollen, bestellen Zutaten und überlegen auch neue Rezepte oder graben alte Rezepte wieder aus. Plätzchen backen und essen ist und bleibt ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit. Die Staade Zeit, sie kommt jedes Jahr aufs Neue. Düfte von Anis, Zimt, Vanille und Muskatblüte erfüllen den Raum. Und an der Backtafel beim Ausstechen und Backen werden Geschenkideen ausgetauscht und Geschichten überliefert wie die folgende, die wohl gut zu dieser Zeit passt. Es begab sich in den Wirren des Zweiten Weltkrieges im Hummelgau. Ein Mädchen namens Margarethe, gerade neun Jahre alt, war zum Kleinholzsammeln in den Wald geschickt worden. Zu Hause hatte ihre Mutter eine kleine Bäckerei und brauchte zum Anschüren des Backofens immer die kleinen Äste und Tannenzapfen. Es lag kaum Schnee und die besten Plätze waren Margarethe wohl bekannt. Flink steckte sie alles in ihren Huckelkorb. Vertieft in das Sammeln merkte sich nicht, dass sie ein Augenpaar aus dem Verborgenen folgte und genau beobachtete, was Margarethe tat. Es dauerte eine gute Weile, bis sie bemerkte, dass sie nicht alleine war. Die Gestalt, die sie beobachtete, war ein kleines Mädchen, höchstens acht Jahre alt, erbärmlich gekleidet, abgemagert und schmutzig. Noch nie hatte sie das Mädchen gesehen. Sie kannte alle Menschen, groß und klein, hier auf dem Lande. Margarethe sprach das Häuflein Unglück an: Hallo! Wer bist du denn? Wie heißt du? Und woher kommst du? Die Kleine, sie konnte oder sie wollte nicht antworten. Kurzerhand beschloss sie, das Menschlein mit nach Hause zu nehmen in die kleine Bäckerei. Sie konnte es sich nicht vorstellen, dass von dem Kind etwas Böses ausgehen könnte. So deutete sie ihr, ihr zu folgen. Vorsichtig, immer wieder nach allen Seiten umsehend, folgte ihr das Mädchen langsam, dann aber den Schritt haltend, als ob sie ahnte: Jetzt wird alles gut. Sie kamen in die kleine Bäckerei. Heidi, Margarethes Mutter, war gerade zum Umtauschen des gebackenen Brotes in lebenswichtige andere Waren unterwegs. Wie groß wurden die Augen der kleinen Fremden beim Eintreten! Der Geruch und der Anblick von Plätzchen und gebackenem Brot waren für sie scheinbar atemberaubend, als wäre sie der Ohnmacht nahe. Was musste ihr widerfahren sein! Welche Schrecken musste sie erlebt haben und welchen Hunger ausgestanden? Margarethe reichte ihr ein Stück des frischen gebackenen Brotes. für sie das Selbstverständlichste. Das Mädchen aber betrachtete es wie ein Wunder. Vorsichtig biss sie ab, aus Angst, das Wunder zu zerstören und schloss die Augen, um beim Kauen mit allen Sinnen zu genießen. Brot, ein Stück Leben, Hoffnung und Sicherheit. Als Margarethes Mutter Heidi nach Hause kam und das Kind bemerkte, reagierte sie sehr einfühlsam. Sie ließ das Geschehene kurz schildern, machte keine Anstalten, sie wegzuschicken. In der Zeit des Not und des Mangels waren herumirrende und heimatlose Menschen nicht selten. Aber hier auf dem Land, weit weg von Großstädten und dann noch ein kleines Mädchen – Das war wohl mehr als ungewöhnlich. Vor allem ein Kind, das nicht sprach, also auch nicht gefragt werden konnte, woher sie kam und auch ihren Namen nicht preisgab. Schnell fügte sich das Kind in den Alltag der beiden Frauen ein. Der Vater im Krieg, so taten die kleinen beiden Hände gut. Eine Kuh stand im Stall, musste versorgt werden, die Milch ausgebuttert, Brot gebacken. Allerhand Arbeiten gab es, um zu überleben. Niemand fragte nach dem Kind, sie wurde scheinbar nicht vermisst. An die Behörden weitergeben, daran verschwendeten sie keine Gedanken, wussten sie doch, dass das Mädchen im Waisenhaus landen würde, wo es sonst kaum zu essen genug gab. Sie nannten das Findelkind Lydia, wie die Schwester, die Margarethes Mutter mit fünf Jahren an Typhus verloren hatte. Viele Kinder aus Bayreuth wurden zum Schutz aufs Land geschickt. Von daher entstand keine Erklärungsnot. Margarethe dachte oft darüber nach, ob es vielleicht ein Weihnachtsengel war. Die Schwester, die sie sich immer ersehnt hatte, die sie da im Wald aufgelesen hatte.