Ich heiße Jürgen Wolff und war viele Jahre Leiter des evangelischen Bildungswerks. Ich lese eine Geschichte von einem kleinen Engel, der nicht singen wollte. Als die Menge der himmlischen Heerscharen über die Felder von Bethlehem jubelte: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden!“ hörte ein kleiner Engel plötzlich zu singen auf. Obwohl er im unendlichen Chor nur eine kleine Stimme war, machte sich sein Schweigen doch bemerkbar. Engel singen nämlich in geschlossenen Reihen. Da fällt jede Lücke sogleich auf. Die Sänger neben ihm stutzten und setzten ebenfalls aus. Das Schweigen hätte beinahe den ganzen Chor ins Wanken gebracht, wenn nicht einige unbeirrbare Großengel mit kräftigem Anschwellen der Stimmen den Zusammenbruch des Chores verhindert hätten. Einer von ihnen ging dem gefährlichen Schweigen nach. Er ordnete mit bewährtem Nicken das weitere Singen an und wandte sich dem kleinen Engel zu. Warum willst du nicht singen? Fragte er ihn streng. Der kleine Engel meinte Ich wollte ja singen. Ich habe meinen Part gesungen bis zum „Ehre sei Gott in der Höhe“. Aber als dann das mit dem Frieden auf Erden unter den Menschen kam, da konnte ich nicht mehr weiter singen. Auf einmal sah ich die vielen Soldaten in den Ländern der Erde. Sie verbreiten Angst und Schrecken und bringen Menschen um und nennen das dann Frieden. Und auch wo nicht Soldaten sind, herrschen Streit und Gewalt auf der Erde. Es ist nicht wahr, dass auf Erden Frieden unter den Menschen ist. Und ich singe nicht gegen meine Überzeugung. Der große Engel schaute ihn lange schweigend an. Er sah wie abwesend aus. Es war, als ob er von einer ganz höheren Weisung her lauschen würde. Und dann begann er zu reden. Gut, du leidest am Zwiespalt zwischen Himmel und Erde, zwischen der Höhe und der Tiefe. So wisse, dass genau in ebendieser Nacht dieser Zwiespalt überbrückt wurde. Dieses Kind, das geboren wurde und um dessen Zukunft du dir Sorgen machst. Dieses Kind soll unseren Frieden in die Welt bringen. Gott gibt in dieser Nacht seinen Frieden allen Menschen. Und deshalb singen wir auch wenn viele das Geheimnis noch nicht hören und verstehen wollen. Wir übertönen mit dem Gesang nicht den Zwiespalt. Wie du meinst. Nein, wir singen ein neues Lied. Da rief der kleine Engel: „Ja, wenn das so ist, dann singe ich gerne weiter.“ Der Große schüttelte den Kopf und sagte Nein, du wirst nicht singen. Du bekommst einen anderen Dienst von uns. Du wirst von heute an den Frieden Gottes und dieses Kindes zu allen Menschen tragen. Du wirst tagelang unterwegs sein, du wirst in ihre Häuser pochen und den Menschen die Sehnsucht nach dem Frieden in die Herzen legen. Du wirst nichts zu singen haben, aber viel klagen und weinen. Denn du liebst die Wahrheit mehr als das Gotteslob. Und dieses Merkmal deines Wesens wird nun zu deinem Auftrag in der Welt. Nun gehe und beginnen. Unser Gesang wird dich begleiten, damit du nie vergisst, dass der Friede gerade in dieser Nacht in die Welt gekommen ist. Der Engel war unter diesen Worten zuerst noch kleiner, dann aber immer größer und größer geworden, ohne dass er es selbst merkte. Er setzte seinen Fuß auf die Felder von Bethlehem. Er wanderte mit den Hirten zu dem Kind in der Krippe und öffnete ihnen die Herzen, dass sie verstanden, was sie sahen. Dann ging er in die Welt und begann dort zu wirken. Er sorgte dafür, dass die Sehnsucht nach dem Frieden nie mehr verschwindet, sondern wächst und die Menschen dazu antreibt, Frieden zu suchen und zu schaffen.